German Fairy Tales
Rapunzel
Edited
by Eugene R. Moutoux
|

|
"Alsbald
fielen die Haare
herab,
und der Königssohn
stieg hinauf."
|
|
e
Angst (¨-e) -
fear
blaß - pale
r Blick (-e) - look
empfinden (a, u) - feel, perceive, sense
sich entschließen (o, -ossen)
- decide
Was fehlt dir? - What's wrong with you?
gewaltig - powerful(ly);
vehement(ly)
s Haar (-e) - hair
e Hoffnung (-en) - hope
|
klettern
- climb
e Kräuter (pl.) - herbs
losbinden (a, u) - untie
e Macht (¨-e) - power
e Mauer (-n) -
wall
prächtig - splendid
e Rapunzel (-n) - lamb's lettuce
sogleich - right away
sorgen für - care for, take care of
|
stehlen
(ie; a, o) - steal
s
Verlangen - desire; craving
wagen - dare
weder...noch: neither...nor
wickeln - wrap
r Wunsch (¨-e) - wish
wünschen - wish
e Zauberin (-nen) - sorcer- ess
r Zorn - anger
|
|
Es war einmal ein Mann und eine Frau,
die sich schon lange vergeblich ein Kind wünschten.
Endlich machte sich die Frau Hoffnung, der liebe Gott
werde ihren Wunsch erfüllen. Die Leute hatten in ihrem
Hinterhaus ein kleines Fenster. Daraus konnte man in
einen prächtigen Garten sehen, der voll der schönsten
Blumen und Kräuter stand; er war aber von einer hohen
Mauer umgeben, und niemand wagte hineinzugehen, weil er
einer Zauberin gehörte, die große Macht hatte und von
aller Welt gefürchtet wurde.
Eines Tages stand die Frau an diesem
Fenster und sah in den Garten hinab, da erblickte sie
ein Beet, das mit den schönsten Rapunzeln bepflanzt
war. Und sie sahen so frisch und grün aus, daß sie lüstern
wurde und das größte Verlangen empfand, von den
Rapunzeln zu essen. Das Verlangen nahm jeden Tag zu, und
da sie wußte, daß sie keine davon bekommen konnte, so
fiel sie ganz ab, sah blaß und elend aus.
|
vergeblich:
to no avail
/ werde erfüllen: (future subjunctive I)
/ Hinterhaus: back part of the house
/ hohen: high (from hoch)
/ Beet: bed
/ bepflanzt: planted (cf Lexical Note on the next
page)
/ sahen aus: looked
/ lüstern: desirous
/ nahm zu: increased
/ da: since (conj.)
/ fiel ab: grew thin
/ elend: miserable
|
Da erschrak der Mann und fragte:
"Was fehlt dir, liebe Frau?"
"Ach", antwortete sie,
"wenn ich keine Rapunzeln aus dem Garten hinter
unserm Hause zu essen kriege, so sterbe ich."
Der Mann, der sie lieb hatte, dachte: "Eh du
deine Frau sterben läßt, holst du ihr von den Rapunzeln,
es mag kosten, was es will."
In der Abenddämmerung stieg er also
über die Mauer in den Garten der Zauberin, stahl in
aller Eile eine Handvoll Rapunzeln und brachte sie
seiner Frau. Sie machte sich sogleich Salat daraus und aß
sie in voller Begierde auf.
|
eh = ehe: before (conj.)
/ es mag...will:
no matter what it costs / Abenddämmerung: dusk
/ Begierde: desire
|
Sie hatten ihr aber so gut, so gut
geschmeckt, daß sie den andern Tag noch dreimal soviel
Lust bekam. Sollte sie Ruhe haben, so mußte der Mann
noch einmal in den Garten steigen. Er machte sich also
in der Abenddämmerung hinab; als er aber die Mauer
herabgeklettert war, erschrak er gewaltig, denn er sah
die Zauberin vor sich stehen. "Wie kannst du es
wagen", sprach sie mit zornigem Blick, "in
meinen Garten zu steigen und wie ein Dieb mir meine
Rapunzeln zu stehlen? Das soll dir schlecht bekommen."
"Ach", antwortete er,
"laßt Gnade für Recht ergehen, ich habe mich nur
aus Not dazu entschlossen. Meine Frau hat Eure Rapunzeln
aus dem Fenster erblickt, und empfindet ein so großes
Gelüsten, daß sie sterben würde, wenn sie nicht davon
zu essen bekäme."
Da ließ die Zauberin in ihrem Zorne
nach und sprach zu ihm: "Verhält es sich so, wie
du sagst, so will ich dir gestatten, Rapunzeln
mitzunehmen, soviel du willst, allein ich mache eine
Bedingung: du mußt mir das Kind geben, das deine Frau
zur Welt bringen wird. Es soll ihm gut gehen, und ich
will für es sorgen wie eine Mutter."
|
Lust:
desire
/ Sollte sie: If she was to
/ machte sich hinab: went down
/ Dieb: thief
/ Das soll...bekommen: you will suffer for that
/ laßt Gnade...ergehen: show mercy
/ dazu: to do that
/ Gelüsten: craving
/ wenn sie...bekäme: (unreal condition, present
time)
/ ließ nach: relented
/ Verhält es sich: If it is
/ gestatten: allow
/ allein: but
/ Bedingung: condition
|
Der Mann sagte in der Angst alles zu,
und als die Frau in Wochen kam, so erschien sogleich die
Zauberin, gab dem Kind den Namen Rapunzel und nahm es
mit sich fort.
Rapunzel wurde das schönste Kind
unter der Sonne. Als es zwölf Jahre alt war, schloß es
die Zauberin in einen Turm, der in einem Walde lag, und
weder Treppe noch Tür hatte, nur ganz oben war ein
kleines Fensterchen. Wenn die Zauberin hinein wollte, so
stellte sie sich unten hin und rief:
"Rapunzel, Rapunzel, laß
mir dein Haar herunter."
Rapunzel hatte lange prächtige Haare, fein wie
gesponnenes Gold. Wenn sie nun die Stimme der Zauberin
vernahm, so band sie ihre Zöpfe los, wickelte
sie oben um einen Fensterhaken, und dann fielen die
Haare zwanzig Ellen tief herunter, und die Zauberin
stieg daran hinauf.
|
sagte alles zu:
agreed to everything
/ in Wochen kam: delivered
/ Fensterhaken:
window hook
/ Ellen: yards
|
|
Beantworten Sie die
folgenden Fragen!
1. Was hatten sich der Mann und die Frau
schon lange gewünscht?
2. Wie würden Sie den Garten beschreiben,
der hinter ihrem Haus lag?
3. Warum wagte niemand
hineinzugehen?
4. Was empfand die Frau, als sie eines Tages
in den Garten hinabsah?
5. Warum entschloß sich ihr Mann, die
Rapunzeln zu stehlen?
6. Wie er in den
Garten?
7. Wie erging es ihm im
Garten?
8. Wie aß die Frau die Rapunzeln und wie
schmeckten sie ihr?
9. Warum stieg der Mann ein zweites Mal in
den Garten?
10. Was für ein Unglück betraf
ihn?
11. Wie drohte ihm die
Zauberin?
12. Wie verteidigte sich der Mann?
13. Unter welcher Bedingung durfte der Mann
so viele Rapunzeln nehmen, wie er wollte?
14. Was versprach die
Zauberin?
15. Was machte die Zauberin, nachdem die Frau
ein Kind zur Welt gebracht hatte?
16. Was läßt sich von der Schönheit
Rapunzels sagen?
17. Wohin brachte die Zauberin Rapunzel, als
diese zwölf Jahre alt war?
18. Was fehlte an dem
Turm?
19. Was machte Rapunzel jedesmal, wenn die
Zauberin ihr Sprüchlein
sagte?
20. Wie kam die Zauberin nach oben, wo
Rapunzel war?
|
abschneiden
(schnitt ab, abgeschnitten) -
cut off
anfangs - at first
bekannt - known, familiar; well known
blind - blind
r Dorn (two pl.: ¨-er, -en) - thorn
dunkel - dark
empfangen (ä; i, a) - receive
flechten (flicht; o, o) - weave
r Gesang (¨-e) - song
e
Haarflechte (-n) - braid of hair
|
heim - (verb prefix) home
r Jammer - misery; sorrow
e Träne (-n) - tear
verlieren (o, o) - lose
versuchen - try
zuhören - listen
r Zwilling (-e) - twin
jammern -
lament; wail
jedesmal - each time
|
e
Katze (-n) - cat
e Leiter (-n) - ladder
s Nest (-er) - nest
s Pferd (-e) - horse
reiten (ritt, geritten) - ride (horseback)
rühren - stir, move, touch
r Schmerz (-en) - pain
e Seide - silk
süß - sweet
|
|
Nach ein paar Jahren trug es sich zu,
daß der Sohn des Königs durch den Wald ritt und an dem
Turm vorüberkam. Da hörte er einen Gesang, der so
lieblich war, daß er still hielt und horchte. Das war
Rapunzel, die in ihrer Einsamkeit sich die Zeit damit
vertrieb, ihre süße Stimme erschallen zu lassen.
Der Königssohn wollte zu ihr
hinaufsteigen und suchte nach einer Tür des Turms, aber
es war keine zu finden. Er ritt heim, doch der Gesang
hatte ihm so sehr das Herz gerührt, daß er jeden Tag
hinaus in den Wald ging und zuhörte. Als er einmal so
hinter einem Baum stand, sah er, daß eine Zauberin
herankam und hörte, wie sie hinaufrief:
"Rapunzel, Rapunzel, laß
dein Haar herunter."
Da ließ Rapunzel die Haarflechten
herab, und die Zauberin stieg zu ihr hinauf.
|
horchte:
listened
/ Einsamkeit: loneliness
/ die Zeit vertrieb: passed away the time
/ erschallen: sound
/ herankam: was approaching
|
"Ist das die Leiter, auf welcher
man hinaufkommt, so will ich auch einmal mein Glück
versuchen." Und den folgenden Tag, als es anfing
dunkel zu werden, ging er zu dem Turme und rief:
"Rapunzel, Rapunzel, laß
dein Haar herunter."
Alsbald fielen die Haare herab, und
der Königssohn stieg hinauf.
Anfangs erschrak Rapunzel gewaltig, als ein Mann zu
ihr hereinkam, wie ihre Augen noch nie einen erblickt
hatten. Doch der Königssohn fing an ganz
freundlich mit ihr zu reden und erzählte ihr, daß von
ihrem Gesang sein Herz so sehr bewegt worden sei, daß
es ihm keine Ruhe gelassen und er sie selbst habe sehen
müssen.
|
alsbald: immediately
/ wie ihre Augen
... erblickt hatten: because her eyes had never seen
one (a man) before / bewegt worden sei:
(past subjunctive I, passive) had been moved / habe sehen müssen: (past subjunctive I,
double-infinitive construction) had to see
|
Da verlor Rapunzel ihre Angst, und
als er sie fragte, ob sie ihn zum Mann nehmen wollte,
und sie sah, daß er jung und schön war, so dachte sie:
"Der wird mich lieber haben als die alte Frau Gotel",
und sagte ja, und legte ihre Hand in seine Hand. Sie
sprach: "Ich will gerne mit dir gehen, aber ich weiß
nicht, wie ich herabkommen kann. Wenn du aber kommst, so
bringe jedesmal einen Strang Seide mit, daraus will ich
eine Leiter flechten, und wenn die fertig ist, so steige
ich herunter und du nimmst mich auf dein Pferd."
Sie verabredeten, daß er bis dahin
alle Abende zu ihr kommen sollte, denn bei Tag kam die
Alte. Die Zauberin merkte auch nichts davon, bis einmal
Rapunzel anfing und zu ihr sagte: "Sag sie mir doch,
Frau Gotel, wie es nur kommt, sie wird mir viel schwerer
heraufzuziehen als der junge Königssohn; der ist in
einem Augenblick bei mir."
"Ach, du gottloses Kind",
rief die Zauberin, "was muß ich noch von dir hören.
Ich dachte, ich hätte dich von aller Welt geschieden,
und du hast mich doch betrogen!"
|
mich lieber haben:
like me better
/ Strang: skein
/ verabredeten: agreed
/ anfing: began talking
/ Sag sie mir = Sagen Sie mir
/ geschieden: separated
|
In ihrem Zorne packte sie die schönen
Haare der Rapunzel, schlug sie ein paar Mal um ihre
linke Hand, griff eine Schere mit der rechten, und
ritsch, ratsch waren sie abschnitten, und die schönen
Flechten lagen auf der Erde. Und sie war so unbarmherzig,
daß sie die arme Rapunzel in eine Wüstenei brachte, wo
sie in großem Jammer und Elend leben mußte.
Denselben Tag aber, wo sie Rapunzel
verstoßen hatte, machte abends die Zauberin die
abgeschnittenen Flechten oben am Fensterhaken fest, und
als der Königssohn kam und rief:
"Rapunzel,
Rapunzel, laß dein Haar
herunter",
so ließ sie die
Haare hinab. Der Königssohn stieg hinauf, aber er fand
oben nicht seine liebste Rapunzel, sondern die Zauberin,
die ihn mit bösen und giftigen Blicken ansah.
"Aha", rief sie höhnisch, "du willst die
Frau Liebste holen, aber der schöne Vogel sitzt nicht
mehr im Nest und
singt nicht mehr. Die Katze hat ihn geholt und wird dir
auch noch die Augen auskratzen. Für dich ist Rapunzel
verloren, du wirst sie nie wieder erblicken."
|
schlug:
wrapped
/ linke: left
/ griff: seized
/ ritsch, ratsch: slish, slash
/ unbarmherzig: merciless
/ Wüstenei: desert
/ Elend: misery
/ verstoßen: cast out
/ machte fest: secured
/ höhnisch: scornfully
/ die Frau Liebste: your sweetheart
/ auskratzen:
scratch out
|
Der Königssohn geriet außer sich
vor Schmerzen, und in der
Verzweiflung sprang er den Turm herab. Das Leben brachte
er davon, aber die Dornen, in die er fiel, zerstachen
ihm die Augen. Da irrte er blind im Walde umher, aß
nichts als Wurzeln und Beeren, und tat nichts als
jammern und weinen über den Verlust seiner liebsten
Frau.
So wanderte er einige Jahre im Elend umher und geriet
endlich in die Wüstenei, wo Rapunzel mit den Twilling,
die sie geboren hatte, einem Knaben und Mädchen, kümmerlich
lebte. Er vernahm eine Stimme, und sie deuchte ihn so
bekannt, da ging er darauf zu, und wie er herankam,
erkannte ihn Rapunzel und fiel ihm um den Hals und
weinte. Zwei von ihren Tränen aber benetzten seine
Augen, da wurden sie wieder klar, und er konnte damit
sehen wie sonst. Er führte sie in sein Reich, wo er mit
Freude empfangen wurde, und sie lebten noch lange glücklich
und vergnügt.
|
geriet außer sich:
was beside himself
/ Verzweiflung: despair
/ Das Leben brachte er
davon: he came away with his
life
/ zerstachen: pierced
/ irrte umher: wandered about
/ nichts als: nothing but
/ Verlust: loss
/ geriet: came
/ kümmerlich: wretchedly
/ vernahm: heard
/ deuchte ihn: seemed to him
/ herankam: approached
/ benetzten: moistened
|
|
Beantworten Sie die
folgenden Fragen!
1. Wer kam nach ein paar Jahren an dem Turm
vorbei?
2. Warum hielt er an?
3. Warum ging der Königssohn nicht zu
Rapunzel hinauf?
4. Was machte er jeden Tag danach?
5. Was sah und hörte er eines Tages?
6. Wie kam er dann am folgenden Tag zu
Rapunzel hinauf?
7. Wodurch verlor Rapunzel die Angst, die sie
angfangs gehabt hatte?
8. Warum sagte sie ja, als der Königssohn
sie fragte, ob sie ihn zum Mann nehmen wollte?
9. Wie würde es ihr möglich sein, aus dem
Turm hinauszusteigen?
10. Wodurch merkte die Zauberin, daß der
junge Königssohn in den Turm gekommen war?
11. Was glaubte die Zauberin, geleistet zu haben, als
sie Rapunzel in den Turm schloß?
12. Was machte die zornige Zauberin mit den
schönen Haaren Rapunzels?
13. Wohin brachte sie Rapunzel?
14. Warum band die Zauberin die
abgeschnittenen Flechten am Fensterhaken fest?
15. Wer war denn die Katze, von der die
Zauberin sprach?
16. Wer war der Vogel?
17. Was wollte die Katze dem Königssohn an
tun?
18. Was geschah dem Königssohn, als er von
dem Turm herabsprang?
19. Wie war sein Leben als Blinder?
20. Wie kam es, daß er Rapunzel fand?
21. Was geschah, als Rapunzels Tränen in die
Augen des Königssohns flossen?
22. Wohin gingen die beiden?
|
Zeichnen Sie
"Rapunzel" als Bildergeschichte, mit Worten natürlich!
|
In general, the
comparative and superlative
degrees of German adjectives and adverbs are formed by adding -er
and -ste, resp., to the positive degree. Examples:
Positive |
klein |
interessant |
Comparative |
kleiner |
interessanter |
Superlative |
kleinste |
interessanteste |
One-syllable
adjectives and adverbs usually "umlaut" the vowel of
the comparative and superlative forms. Examples:
Positive |
groß |
alt |
klug |
Comparative |
größer |
älter |
klüger |
Superlative |
größte |
älteste |
klügste |
Among the
most-used irregular adjectives and adverbs are the following:
Positive |
gut |
viel |
hoch |
gern |
Comparative |
besser |
mehr |
höher |
lieber |
Superlative |
beste |
meiste |
höchste |
am liebsten |
|
|