German Fairy Tales
Der Wolf und die sieben
jungen Geißlein
Edited by
Eugene R. Moutoux
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"Dann
schnitt sie dem Ungetüm den Wanst auf, und kaum hatte sie einen
Schnitt getan, so streckte schon ein Geißlein den Kopf heraus,
und als sie weiterschnitt, so sprangen nacheinander alle sechse
heraus...." |
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r
Bäcker (-) - baker
betrügen
(o, o) - deceive
r Bösewicht (-e)
- villain
bringen (brachte, gebracht)
- bring; take
dauern
- last; take (time)
erkennen (erkannte,
erkannt)
- recognize
fressen (i; a, e)
- eat (like an animal)
s Futter
- fodder; feed
e Geiß (-en)
- she-goat
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gleich - (adv.) right away;
(adj.)
same
jeder
- each, every
r Krämer (-) -
shopkeeper
e Kreide
- chalk
lieb haben
- love, like
lieblich
- lovely
meckern
- bleat
s Mehl
- flour
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r Müller (-) - miller
e Pfote (-n) - paw
rauh - rough
e Sorge (-n) - care, worry
stoßen (ö; ie, o) - push; hit
streichen (i, i) - stroke;
spread
streuen - sprinkle, spread
r Teig (-e)
- dough
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Es
war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein,
und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat. Eines
Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen, da rief sie
alle sieben herbei und sprach: "Liebe Kinder, ich will
hinaus in den Wald. Seid auf eurer Hut vor dem Wolf. Wenn er
hereinkommt, so frißt er euch alle mit Haut und Haar. Der Bösewicht
verstellt sich oft, aber an seiner rauhen Stimme und an seinen
schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen."
Die Geißlein sagten: "Liebe Mutter, wir
wollen uns schon in acht nehmen, Ihr könnt ohne Sorge fortgehen."
Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg.
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da rief sie
alle sieben herbei:
she called all seven to her / Seid auf der Hut vor: Be of
your guard against / mit Haut und Haar:
completely / verstellt sich: disguises
himself / in acht nehmen: take care / fortgehen: leave
/ machte sich getrost auf den Weg:
set out confidently
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Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an
die Haustür und rief: "Macht auf, ihr lieben Kinder, eure
Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht."
Aber die Geißlein hörten an der rauhen
Stimme, daß es der Wolf war: "Wir machen nicht auf",
riefen sie. "Du bist unsere Mutter nicht, die hat eine
feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist rauh; du bist
der Wolf."
Da ging der Wolf fort zu einem Krämer und kaufte sich ein
großes Stück Kreide. Die aß er und machte damit seine Stimme
fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Haustür und rief:
"Macht auf, ihr lieben Kinder,
eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht."
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Es dauerte nicht lange, so:
It was not long until / ihr lieben Kinder:
(adjectives following the personal pronouns wir and ihr
take the weak adjective ending -en) / fein: delicate
/ Stück: piece
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Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote in
das Fenster gelegt, das sahen die Kinder und riefen: "Wir
machen nicht auf, unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du;
du bist der Wolf."
Da lief der Wolf zu einem Bäcker und sprach:
"Ich habe mich an den Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber."
Und als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen
hatte, so lief er zum Müller und sprach: "Streu mir weißes
Mehl auf meine Pfote."
Der Müller dachte: "Der Wolf will einen
betrügen", und weigerte sich.
Aber der Wolf sprach: "Wenn du es nicht
tust, so fresse ich dich." Da fürchtete sich der Müller
und machte ihm die Pfote weiß. Ja, das sind die Menschen.
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Ich
habe mich an den Fuß gestoßen:
I hit my foot / bestrichen hatte: had
coated / einen: someone / weigerte sich: refused
/ das sind die Menschen:
people are like that
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Beantworten Sie die folgenden
Fragen!
1. Wohin wollte die Geiß eines Tages gehen?
2. Was war ihr mütterlicher Rat an die
Geißlein?
3. Wie werden die Geißlein den Wolf
erkennen?
4. Wie trösteten die Geißlein ihre Mutter?
5. Wer kam dann tatsächlich nach kurzer Zeit an die
Haustür?
6. Was rief der Wolf, nachdem er angeklopft
hatte?
7. Woran erkannten die Geißlein den Wolf?
8. Was kaufte sich der Wolf beim
Krämer? Warum?
9. Warum ließen die Geißlein den Wolf immer noch
nicht ins Haus hereinkommen?
10. Warum ging der Wolf jetzt zum Bäcker und nachher
zum Müller?
11. Machten beide Männer gern das, was der Wolf
verlangte?
12. Warum machte es der Müller dann aber
doch?
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e
Bank (¨-e) - bench
e Decke (-n)
- cover; ceiling
erschrecken (i; erschrak, o)
- be terrified
r Kasten (-)
- chest, case, box
s Kissen (-)
- pillow
nacheinander
- one after another
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niemand
- no one
nirgendwo
- nowhere
r Ofen (¨)
- oven; stove
schlucken
- swallow
r Schrank (¨-e)
- cabinet, closet
suchen
- look for
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umwerfen (i; a, o)
- overturn, upset
(sich) verstecken
- hide
e Waschschüssel (-n)
- wash bowl
e Wiese (-n)
- meadow
sidemen (zog, gezogen)
- (tr.) pull; (intr.) move
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Nun
ging der Bösewicht zum dritten Mal zu der Haustür, klopfte an
und sprach: "Macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterchen
ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Walde
mitgebracht."
Die Geißerchen riefen: "Zeig uns erst
deine Pfote, damit wir wissen, daß du unser liebes Mütterchen
bist."
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zum dritten Mal: for
the third time / ist heimgekommen: has come home / Geißerchen =
Geißlein
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Da legte er die
Pfote ins Fenster, und als sie sahen, daß sie weiß war, so
glaubten sie, es wäre alles wahr, was er sagte, und machten die
Tür auf. Wer aber hereinkam, das war der Wolf. Sie erschraken
und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch,
das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche,
das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel,
das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie
alle und machte nicht langes Federlesen: eins nach dem andern
schluckte er in seinen Rachen; nur das jüngste in dem Uhrkasten,
das fand er nicht. Als der Wolf seine Lust gebüßt hatte,
trollte er sich fort, legte sich draußen auf der grünen Wiese
unter einen Baum und fing an zu schlafen. |
Küche: kitchen
/ machte nicht langes Federlesen: made short work of it
/ Rachen: throat / seine Lust gebüßt hatte: had satisfied his desire
/ trollte er sich fort: he toddled off
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Nicht lange danach
kam die alte Geiß aus dem Walde wieder heim. Ach, was mußte
sie da erblicken! Die Haustür stand sperrweit auf. Tische, Stühle
und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben,
Decke und Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre
Kinder, aber nirgendwo waren sie zu finden. Sie rief sie
nacheinander bei Namen, aber niemand antwortete. Endlich, als
sie an das jüngste kam, da rief eine feine Stimme: "Liebe
Mutter, ich stecke im Uhrkasten." Sie holte es heraus, und
es erzählte ihr, daß der Wolf gekommen wäre und die andern
alle gefressen hätte. Da könnt ihr denken, wie sie über ihre
armen Kinder geweint hat. |
danach : after that / heim: home
/ stand sperrweit (= sperrangelweit) auf:
stood wide open
Scherben: broken pieces
/ waren sie zu finden: they could be found (in German, the
active infinitive is used with forms of the verb sein as
a passive-voice substitute) / stecke: am
/ holte es heraus: got it out / gekommen wäre, gefressen hätte: The Grimms, or their
sources, prefer subjunctive II in indirect discourse
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Beantworten Sie die folgenden
Fragen!
1. Warum machten die Geißlein dem Wolf doch schließlich
auf?
2. Was machten die Geißlein, als der Wolf
hereinkam?
3. Fand der Wolf alle sieben
Geißlein?
4. Was machte er mit denen, die er
fand?
5. Wohin ging der Wolf, als er sich satt gefressen hatte?
6. Was fand die alte Geiß, als sie nach Hause
kam?
7. Wen rief sie?
8. Wer antwortete?
9. Was erzählte das jüngste Geißlein seiner
Mutter?
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ausschlafen
(ä; ie, a) - sleep one's fill
r Bauch (¨-e)
- belly
s Bein (-e)
- leg
(sich) bewegen
- move (oneself)
sich bücken
- bend, stoop
r Durst
- thirst
e Freude (-n)
- joy
füllen
- fill
e Geschwindigkeit (-en)
- speed
gottlos
- godless
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lauter
- nothing but
am Leben
- alive
r Magen (¨-)
- stomach
meinen
- mean; think; say
merken
- notice
e Nadel (-n)
- needle
nähen
- sew
sich regen
- move, stir
e Schere (-n)
- scissors
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schleppen - drag, lug, tote
schnarchen - snore
schneiden (schnitt,
geschnitten) - cut
r Schneider (-) - tailor
solange - (conj.) as long as
stecken - stick, put; be
strecken - stretch
zittern - shiver, shake, quiver
r Zwirn (-e) - thread
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Endlich
ging sie in ihrem Jammer hinaus, und das jüngste Geißlein lief
mit. Als sie auf die Wiese kam, so lag da der Wolf an dem Baum
und schnarchte, daß die Äste zitterten. Sie betrachtete ihn
von allen Seiten und sah, daß in seinem angefüllten Bauch sich
etwas regte und zappelte. "Ach, Gott", dachte sie,
"sollten meine armen Kinder, die er zum Abendbrot
hinuntergewürgt hat, noch am Leben sein?"
Da mußte das Geißlein nach Hause laufen und
Schere, Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt sie dem Ungetüm den
Wanst auf, und kaum hatte sie einen Schnitt getan, so streckte
schon ein Geißlein den Kopf heraus, und als sie weiterschnitt,
so sprangen nacheinander alle sechse heraus und waren noch alle
am Leben und hatten nicht einmal Schaden gelitten; denn das
Ungetüm hatte sie in der Gier ganz hinuntergeschluckt.
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Jammer: misery / Äste: branches
/ betrachtete: looked at / Seiten: sides / angefüllt: stuffed
/ zappelte: wriggled
/ sollten: is it possible that / Abendbrot: supper
/ hinuntergewürgt hat: choked down / schnitt sie dem Ungetüm den Wanst auf: cut open the
monster's belly / kaum hatte sie einen Schnitt getan, so: she had
scarcely made a cut when
heraus (verb prefix): out weiterschnitt:
continued to cut / sechse = sechs / hatten...gelitten: had not even been injured
/ hatte...hinuntergeschluckt: had in his greed swallowed
them whole
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Das war eine Freude! Da herzten sie ihre
liebe Mutter und hüpften wie ein Schneider, der Hochzeit hält.
Die Alte aber sagte: "Jetzt geht und sucht Wackersteine,
damit wollen wir dem gottlosen Tier den Bauch füllen, solange
er noch im Schlafe liegt."
Da schleppten die sieben Geißerchen in aller
Eile die Steine herbei und steckten sie ihm in den Bauch, soviel
sie hineinbringen konnten. Dann nähte ihn die Alte in aller
Geschwindigkeit wieder zu, daß er nichts merkte und sich nicht
einmal regte.
Als der Wolf endlich ausgeschlafen hatte,
machte er sich auf die Beine, und weil ihm die Steine im Magen
so großen Durst erregten, so wollte er zu einem Brunnen gehen
und trinken. Als er aber anfing zu gehen und sich hin und her zu
bewegen, so stießen die Steine in seinem Bauch aneinander und
rappelten. Da reef er:
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herzten: hugged
/ Hochzeit hält: is getting married / Wackersteine: large stones
/ damit: with them / Tier: animal / im Schlafe: asleep
/ in aller Eile: in great haste / Steine: stones /
herbei (verb prefix): there / soviel: as many as hineinbringen: get in
/nähte ihn zu: sewed him shut / machte er sich auf die Beine: he stood up
/ erregten: caused / aneinander: against eath other
/ rappelten: rattled
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"Was rumpelt und pumpelt in
meinem Bauch herum? Ich meinte, es wären
sechs Geißlein, so sind’s lauter
Wackerstein."
Und als er an den Brunnen kam und sich über
das Wasser bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren
Steine hinein, und er mußte jämmerlich ersaufen. Als die
sieben Geißlein das sahen, da kamen sie herbeigelaufen, riefen
laut: "Der Wolf ist tot! Der Wolf ist tot!" und
tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen herum.
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rumpelt und pumpelt herum: rumbles and tumbles around
/ jämmerlich: miserably / ersaufen = ertrinken: drown
/ kamen sie herbeigelaufen: they came running up / um (...)
herum: around
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Beantworten Sie die folgenden
Fragen!
1. Wohin gingen die Geiß und das
Geißlein?
2. Was machte der Wolf, als Mutter und Kind ihn
fanden?
3. Was merkten sie, als sie den Wolf genauer
betrachteten?
4. Was mußte das Geißlein von zu Hause holen?
5. Was machte die Geiß mit der Schere?
6. Wie lange mußte sie schneiden, bis das erste Geißlein
herauskam? 7. Wieviele Geißlein waren noch am Leben?
8. Warum hatten die Geißlein keine schweren
Verletzungen?
9. Zu welchem Zweck holten die Geißlein schnell
Wackersteine herbei?
10. Was machte die Geiß mit Nadel und Zwirn?
11. Warum hatte der Wolf so großen Durst, als er
endlich aufwachte?
12. Was geschah, als der Wolf zu gehen anfing?
13. Was versteht der Wolf nicht?
14. Wie ist der Wolf in den Brunnen hineingefallen?
15. Was machten die Geißlein, nachdem sie sahen, daß
der Wolf tot war?
Kurze Aufsätze
Stellen Sie
sich vor, der Bäcker und der Müller treffen sich am andern Morgen.
Schreiben Sie ihr Gespräch!
Was würden Sie
tun, wenn ein sprechender Wolf ins Klassenzimmer käme?
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Getting
with Grammar
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With most
verbs, one uses the present-tense stem (with or without a final e)
as the singular informal imperative (command form), e.g.,
Geh(e)! Sing(e)! If the verb stem ends in d or t,
a final e is required, e.g., Arbeite! Rede!
Verbs with a present-tense vowel change from e to i
or from e to ie use the changed vowel in the
singular informal imperative (without final e), e.g.,
Gib! Lies! The verb sein has a special form: Sei!
All verbs use the 2nd plural present-tense form as the plural
informal imperative, e.g., Arbeitet! Gebt! Seid! |
The
following prepositions always take accusative objects:
durch
- through; by means of /
für - for / gegen - against; toward
/ ohne - without / um - around /
wider - against
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